Master Film- und Medienkultur-Forschung
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Zwischen den Grenzen: Der Austausch zwischen Filmwissenschaft und -praxis auf Filmfestivals

Es geht darum, Botschaften zu vermitteln, mit Leuten ins Gespräch zu kommen und mit Filmschaffenden zu sprechen, die was zu sagen haben und was sagen wollen.“ – Julia Weigl, Kuratorin für Internationales Programm beim FILMFEST MÜNCHEN.

Der Filmkosmos ist meistens durch Grenzen bestimmt: Auf der einen Seite befinden sich diejenigen, die Filme machen, auf der anderen Seite stehen die Personen, die diese Werke kritisieren oder analysieren. Doch diese Grenzen sind nicht mehr so starr wie noch vor einigen Jahren. Vielmehr sind sie fluide oder können teils sogar komplett aufgelöst werden, etwa durch den Austausch, den Filmfestivals bieten. So ist es hier zum Beispiel möglich, dass sich Studierende aus der Filmwissenschaft mit Menschen wie Julia Weigl, Kuratorin für Internationales Programm beim Filmfest München, austauschen können. Im Gespräch fällt dabei nach kurzer Zeit auf: Aufgrund unserer universitären Ausbildung – Julia hat Film-, Theater- und Fernsehkritik studiert – begleitet die Frage nach filmtheoretischen Ansätzen uns schon seit einigen Jahren bzw. in Julias Fall Jahrzehnten. „Ich glaube, ab einem gewissen Punkt kann man nicht mehr ohne analytisches Bewusstsein an einen Film rangehen“, findet zumindest Julia in unserem Gespräch. Wie kann es also mittels Festivals gelingen, den Austausch zwischen Theorie und Praxis anzuregen? Früher wurden diese Grenzen durch Filmkritiker:innen, die zu Filmemacher:innen wurden, aufgelöst. Mit dem Tod des legendären Regisseurs der Nouvelle Vague, Jean-Luc Godard, ist nun aber auch der Letzte aus dieser Generation verstorben. Doch zumindest das Gespräch zwischen Filmschaffenden und -theoretiker:innen, beispielsweise durch Q&As, kann hier helfen. Beim Aufeinandertreffen werden dabei sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten klar. Natürlich sind sich auch die Filmemacher:innen gewisser theoretischer Grundlagen bewusst. Hier ist also ein Austausch aus zwei Perspektiven möglich: Die einen analysieren bestimmte Einstellungen und beschreiben, wie diese wirken, während die anderen diese praktisch umsetzen und erklären, warum sie bestimmte Methoden verwendet haben. So kann jeder von der Sichtweise des anderen lernen und profitieren.

Allerdings gibt es innerhalb dieser Herangehensweise an Filme auch eklatante Unterschiede. Filmtheoretiker:innen gehen stets davon aus, dass jedes kleinste Detail, jede Kameraeinstellung, jede Requisite einen Grund hat. Etwa die Aufnahme von einem Reh, das in der diesjährigen Ausgabe des Filmschoolfests im Kurzfilm Liquid Bread über eine Wiese rennt. Die muss doch für irgendetwas stehen! Auf Nachfrage lacht Regisseurin Alica Bednáriková allerdings nur und hat keine so rechte Antwort bereit. Immer wieder passiert es auf dem Filmschoolfest, dass Filmschaffende keine rechte Erklärung für gewisse Herangehensweisen haben, sondern angeben eher intuitiv gearbeitet zu haben. Auch hier werden also neue Erkenntnisse und Blickwinkel geschaffen. Die Regisseur:innen lernen wie andere auf ihr Werk blicken und denken tiefer über dessen Symboliken nach, während die Studierenden erkennen, dass nicht hinter allem ein tieferer Grund steckt – zumindest in einigen Fällen.

Doch um eine solche Grundlage für diese Diskussionen zu schaffen, ist auch die Auswahl der Filme wichtig: „Es ist eine Herausforderung für uns Kurator:innen und auch für Festivals zu sagen: Okay, wo ist meine Nische für richtige Filmfans, die ein Backgroundwissen haben, und wo ist meine Spielwiese fürs Publikum, das sich berieseln lässt, das sich gerne schocken lässt, das gerne entdeckt? Da muss man in verschiedenen Kategorien gucken. Aber wir haben ja eindeutig auch unser Labor für Experimente und da wird es dann auch mal theoretisch“, verrät Julia Weigl im Gespräch. Denn obwohl es durchaus eine Herausforderung sein kann, ein Festival mit einem Programm zusammenzustellen, das bestenfalls ein möglichst breites Publikum anspricht, sind Festivals doch der Ort, an dem Filminteressierte am ehesten fündig werden.

Gerade deshalb ist es umso wichtiger, Festivals zu fördern, um die Diversität, die dem Medium Film innewohnt, zu betonen. Natürlich ist es utopisch zu denken, dass eine praktische Filmsichtung beim Publikum sofort den Reiz auslöst, sich tief in die Filmtheorie einzulesen. Allerdings können Filmfestivals zumindest eines bieten: Einen Ort, der zum Austausch der unterschiedlichsten Sichtweisen auf das Medium Film einlädt – egal, aus welcher Sparte die Teilnehmenden und das Publikum stammen.

Dennis Reinhart dennis.reinhart@campus.lmu.de und Lea Morgenstern lea.morgenstern@campus.lmu.de